Leipziger Buchmesse 2014 – Von Bücherdämmerung, diversen Lebensformen und Igor im dunklen Zimmer

OLYMPUS DIGITAL CAMERAEs ist Bücherfrühling in Leipzig. Vom 13. bis 16. März 2014 haben Bücherfreunde die Gelegenheit, sich neuen Stoff zu besorgen – Lesestoff natürlich. Die Neuerscheinungen sind zahlreich und nahezu unübersichtlich. Wer von Verlag zu Verlag schlendert fühlt sich bald erschlagen von der Vielfalt der Sortimente. Gut beraten ist, wer ein Lieblingsgenre, Lieblingsautoren oder Lieblingsvorträge auskundschaftet und sich zielorientiert durch die Menschen- und Büchermassen gräbt. Aber auch Medien und Moderatoren helfen aus und sortieren: Blaues Sofa, MDR, 3Sat, Deutschlandradio oder ARTE sind stets verlässliche Anlaufstellen für den Reizüberfluteten.

In den vergangenen Jahren bin ich dem Bücherrummel ferngeblieben und habe mich dem Geschmack der Redaktionen von ZEIT, 3Sat oder MDR-Figaro ergeben, die Buchmesse gemütlich im heimischen Sessel verfolgt. Dieses Jahr nun habe ich mich zum ersten Messetag nach Leipzig aufgemacht.  Der Flut der zahlreichen Neuvorstellungen von Büchern bin ich allerdings nur Herr geworden durch Beschränkung. Nach Recherche des Veranstaltungs- und des ein oder anderen Verlagsprogramms, habe ich mir drei Bücher herausgepickt, die ich in nächster Zeit ausführlich rezensieren möchte.

Ganz bewusst habe ich mich gegen die Gewinner des Leipziger Buchpreises entschieden: Saša Stanišiś mit seinem Roman „Vor dem Fest“, Helmut Lethen mit „Der Schatten des Fotografen“ in der Kategorie Sachbuch und Essayistik und Robin Detje mit seiner Übertragung von William T. Vollmans „Europe Central“. Diese Bücher werden sicherlich an anderer Stelle nicht nur eingehender, sondern auch mehrfach besprochen.

Stattdessen möchte ich hier drei andere Bücher vorstellen, die ebenfalls im Rahmen der Buchmesse vorgestellt worden sind und die mich darüber hinaus besonders neugierig gemacht haben:

 

BücherdämmerungDas ist als erstes ein Buch über das Buch selbst. Gemeinsam mit einigen Co-Autoren denkt Detlef Bluhm, Geschäftsführer im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, „über die Zukunft der Buchkultur“ nach. Das Buch als Format steht seit langem nicht nur in Konkurrenz zu anderen Medienformanten, wie dem Fernsehen, speziell Fernsehserien, oder dem Internet, sondern immer mehr auch zu seinem heranwachsenden Bruder, dem E-Book. Die lebhafte Diskussion am 13. März im „Berliner Zimmer“ mit den Autoren Detlef Bluhm, Stephan Selle, Elisabeth Ruge, Volker Oppmann, Katja Splichal und dem Publikum hat mehr als deutlich gemacht, wie spannend die aktuellen Entwicklungen in der Buchbranche sind und wie emotional aufgeladen die Debatte zum Teil ist. Auf der einen Seite: Bücherliebhaber, die das haptische Erlebnis favorisieren und eine starke Bindung zum Gebrauchsgegenstand Buch suchen und eingehen. Auf der anderen Seite: Neugierige Visionäre, die unendlich viele Möglichkeiten in der interaktiven Nutzung des Buches oder präziser des Textes sehen – losgelöst von seiner Form. Das Thema ist brisant und dringend. Es reflektiert die durch eine neue Technik angestoßenen Umwälzprozesse im Verlagswesen und Buchhandel, die nun bereits seit einigen Jahren anhalten, aber noch weitgehend unbesprochen sind. Und dass über diese neue „Bücherdämmerung“ diskutiert und verhandelt werden muss, hat die Vorstellung des Buches „Bücherdämmerung. Über die Zukunft der Buchkultur“, druckfrisch am 12. März erschienen, deutlich gezeigt und damit erfolgreich auf sich selbst verwiesen.

 

Der unsichtbare ApfelEin ganz anderes Buch ist „Der unsichtbare Apfel“, ebenfalls druckfrisch in diesem Monat erschienen. Nicht nur, dass es ein Roman ist. Es ist auch ein Debüt. Es ist das schriftstellerische Erstlingswerk von Robert Gwisdek, Schauspieler, Sänger, Texter, Möbelmacher und Wanderer. Mit der Hauptfigur Igor, so verspricht es der Klappentext, gerät der Leser auf eine surreale Selbstfindungsreise. Er versteht die Welt nicht und die Welt ihn nicht. So begibt er sich für 100 Tage in einen abgedunkelten und schalldichten Raum. Was ihm dort begegnet, jenseits der Grenzen der Vernunft, verrät der Kiwi-Verlag leider nicht. Natürlich nicht.

 

 

 

Jaeggi_LebensformenAls drittes, um den Bogen komplett zu machen, habe ich mir die philosophische „Kritik von Lebensformen“ von Rahel Jaeggi herausgepickt. Das Buch ist zwar bereits im Dezember 2013 erschienen, passt zeitlich aber noch prima in den Bücherfrühling. Die Autorin, Philosophin und Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin, geht der Frage nach, ob Lebensformen in einem liberalen Rechtsstaat kritisiert werden dürfen oder nicht. Das ist nun ein sehr spannendes Thema, da sich natürlich, so behaupte ich, jeder Mensch selbst einmal im Leben die Frage stellen wird, ob seine Art zu leben, sei es – pointiert gesagt – als Vollzeitmama oder Vollzeitjobber, ob seine Lebensweise determiniert oder tatsächlich selbstgewählt ist, und weiter, ob man andere Lebensentwürfe als das akzeptiert, was sie sind, oder lediglich den eigenen als wertig betrachtet. Dass Lebensformen durchaus kritisierbar sind, da sie keineswegs „reine Geschmackssache“, sondern ein „Bündel sozialer Praktiken“ sind, erklärte die Philosophin im Januar der österreichischen Zeitung „dieStandard“ in einem Interview. Welche Thesen sie genau anbringt und wie sie diese belegt, bleibt in ihrem Buch nachzulesen.

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