Brigitte Reimann (1933-1972): „Ich bereue wenig von dem, was ich getan, aber viel von dem, was ich gelassen habe“

Als Brigitte Reimann 1947 an Kinderlähmung erkrankt und sechs einsame Woche im Krankenhaus verbringt, bleibt nicht nur ein leichtes Hinken zurück, sondern auch der Entschluss, zu schreiben:

„Ich habe große Pläne. Wir haben über meinen Beruf gesprochen, und ich will gerne Schriftsteller werden, aber nicht nur nebenbei, sondern als Hauptberuf.“

Sie schreibt Laienspiele und erste Erzählungen, will studieren, gibt es aber wieder auf. Sie gewinnt einen Preis, wird entdeckt und in die Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren des Deutschen Schriftstellerverbandes Magdeburg aufgenommen. Da ist sie gerade mal zwanzig Jahre alt. Nur wenige Jahre später folgen die ersten Buchveröffentlichungen und bald darauf die ersten Preise.

„Ich bereue wenig von dem, was ich getan, aber viel von dem, was ich gelassen habe.“ Das schreibt Brigitte Reimann 1950, noch ein halbes Kind. Aber in diesem Satz blitzt jene Unbedingtheit auf, die sie vom Leben für sich eingefordert hat. Sie ist impulsiv, lebensmutig und energisch. Sie ist viermal verheiratet und verliebt sich immer und immer wieder aufs Neue in Männer. Sie hat Männerliebschaften in Verlags- und Schriftstellerkreisen – keine Affären. Sie trinkt und raucht, diskutiert leidenschaftlich, glaubt an die Idee des Sozialismus und schreibt darüber mit moralischer Festigkeit: „die Menschen um uns haben ein Recht, sich in unseren Büchern wiederzufinden.“

Mit der Zeit wachsen ihre Zweifel ebenso, wie ihr Körper unter ihrem exzessiven Lebens- und Schreibstil zu leiden scheint. Sie schwankt zwischen Euphorie und Depressionen, Freude und Herz- oder gar Ohnmachtsanfällen. Lebensfrohe Textpassagen in ihren Tagebüchern stehen solchen gegenüber, die zutiefst von Zweifeln geprägt sind:

„Manchmal denke ich darüber nach, wie oft ich geliebt habe, wie oft ich geliebt wurde, ich habe ein wunderschönes Leben, ich bedauere nichts.“

Und an anderer Stelle:

„Ich habe zu früh Erfolg gehabt, den falschen Mann geheiratet, in den falschen Kreisen verkehrt; ich habe zu vielen Männern gefallen und an zu vielen Gefallen gefunden“.

Sie wird früh sterben, das mutmaßt sie bereits etliche Jahre vor ihrer Krebserkrankung, die ihren Körper aufzehrt. Bis zum Schluss schreibt sie an ihrem „Franziska“-Roman und liebt die Männer. Sie will leben, „nichts weiter als leben, sei’s unter verrückten Schmerzen, aber auf der Welt sein.“

Drei Vorstellungen der Brigitte Reimann

Das Leben von Brigitte Reimann liest sich fast wie ein Roman: Jung geheiratet, jung Erfolg gehabt, viele Männer geliebt und manchmal auch geheiratet, und trotz heftiger Kritik und aufreibender Diskussionen nahezu alle Literaturpreise der DDR erhalten.

 

brigitte_reimann__einfach_wirklich_leben-9783746616520_xxl

brain-24chance-of-storm-24services-24

Ebenso spannend, wie ihr Leben, liest sich die Biografie „Einfach wirklich leben“ von Dorothea von Törne. Die lässt der emsigen Tagebuchschreiberin genügend Freiraum, um selbst zu Wort zu kommen, flicht Passagen aus Briefen, Tagebüchern und Erzählungen ein. Dorothea von Törne kommentiert und ergänzt lediglich, wo es notwendig scheint und stellt den Aussagen der Reimann hier und da auch solche ihrer Familie und Schriftstellerkollegen gegenüber, wie zum Beispiel von Christa Wolf. Auf diese Weise entsteht ein umfassendes Bild der jung verstorbenen DDR-Schriftstellerin, der ihr gerecht zu werden scheint.

 

Hunger auf Leben

manager-24chance-of-storm-24

Anders verhält sich das mit der biografischen Verfilmung „Hunger auf Leben“ von Markus Imboden (Regie), die hier der Vollständigkeit halber erwähnt werden soll. Die größten Schwächen entstehen hier wohl aus der Kürze des Films. Vieles aus Brigitte Reimanns Biografie ist zum Beispiel weggelassen worden, worunter die Logik der Handlung an einigen Stellen leidet. Zugute halten muss man jedoch die schauspielerische Leistung von Martina Gedeck, in deren Spiel jene Zerrissenheit der Reimann zum Ausdruck kommt, unter der sie zeitlebens litt und die sie durch das Schreiben zu kanalisieren suchte.

 

gierignachleben-300x257

services-24idea-24chance-of-storm-24

Auch die Hörspielcollage „Ich bin so gierig nach Leben“, kann dieses Bild von der zeitlebens zwischen Lebensübermut und Zweifeln schwankenden Brigitte Reimann ausdrucksstark umsetzen. Mit Textpassagen aus den Tagebüchern und quer dazu gelesenen Passagen aus dem Fragment gebliebenen und biografisch anmutenden Roman „Franziska Linkerhand“, gesprochen von Renan Demirkan und Winnie Böwe, entsteht ein besonders eindrückliches Bild der Frau und Schriftstellerin Brigitte Reimann. Untermalt von ruhigen Jazzklängen und Schreibmaschinengeklapper, spürt der Hörer ihrem Lebensentwurf nach, in dem Lebenserfahrung und Schreiben ineinanderfließen und untrennbar miteinander verschmelzen. Ihr Schreiben ist stets Leben, ihr Leben stets Schreiben.

 

reimann_brigitte_ich_bedaure_nichts_buchtitel

abschied

services-24chance-of-storm-24brain-24

Deshalb möchte ich zum Schluss auf Brigitte Reimanns Tagebücher verweisen, aus denen all die genannten Darstellungen und Biografien über sie zehren. Sie sind 1997 und 1998 in zwei Bänden von Angela Drescher im Aufbau-Verlag unter den Titeln „Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955-63“ und „Alles schmeckt nach Abschied. Tagebücher 1964-70“ herausgegeben worden.

Sie erzählen nicht nur hautnah aus dem Leben der Ehefrau, Liebhaberin und Schriftstellerin Brigitte Reimann, sondern auch aus dem Alltag in der DDR, der einengenden Kulturpolitik, den Schriftstellerkongressen, den Verhältnissen im Betrieb „Schwarze Pumpe“, der Wohnungsnot und den sozialistischen Bauprojekten in Hoyerswerda, die sie schließlich in ihrem „Franziska“-Roman verarbeitet. Dieses kulturgeschichtliche Bild der DDR durch das Auge Brigitte Reimanns ist somit auch für all jene im besonderen Maße lesenswert, die weniger an der Schriftstellerin denn der Alltagsgeschichte der DDR interessiert sind.